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Marcus machte schon zum zweiundvierzigsten Mal die DVD-Hülle auf, doch noch immer fand er darin keine Antwort auf das Leben, das Universum und den ganzen Rest. Vielleicht hat er ja auch die falsche Frage gestellt. Vielleicht wollte Mike ihm auch gar keinen Hinweis geben, sondern Marcus einfach nur verarschen? Aber das war nicht sein Stil. Mike hatte schon mit dem leichtesten Anflug von Sarkasmus Probleme, diesen zu erkennen. Manchmal musste er ihm heimlich ein Sarkasmus-Schild hoch halten, damit er in Konversationen niemanden unwissentlich aufs Tiefste beleidigte. Besonders auf Kneipentouren, wenn sie Frauen aufreißen wollten, war das ein gewaltiges Problem. Denn nicht nur, dass Frauen sich in seiner Gegenwart ohnehin schon intellektuell unterlegen fühlten, nein, Fibonacci schaffte es immer irgendwie, diese dermaßen bloß zu stellen, sodass sie sich angewidert von ihnen abwandten und Marcus sich vor Scham im Boden versinken sah. Seine Standardfrage daraufhin war immer die gleiche: Ich hab’s schon wieder getan, stimmt’s? Meistens nickte Marcus dann einfach nur.
Wieder in seiner Wohnung angekommen ließ er sich auf die Ledercouch fallen. Ja, in eine 1ZKB, die von einem nerdigen Möchtegern-Casanova bezogen wird, gehört nun mal eine Ledercouch, auch wenn das mit dem Casanova-Dasein nie wirklich geklappt hat. Seine Freundin hasste diese Couch von Anfang an und er weiß auch gar nicht, wie er es geschafft hat, sie überhaupt rumzukriegen, ohne dass sie direkt schreiend wieder aus dem Chaos, das er sein Heim nannte, raus rannte. Aber er war jetzt schon seit fast drei Jahren mit Margarita zusammen und bisher lief es überraschend gut. Vielleicht lag es ja daran, dass sie immer noch getrennte Wohnung hatten. So konnte sie jederzeit aus der Wohnung flüchten, sobald ihr die Unordnung zu unheimlich wurde. Dann wusste Marcus meistens, dass es mal wieder an der Zeit war, aufzuräumen. Vielleicht war es aber auch die Buchhandlung, die er sich vor drei Jahren mit Ach und Krach finanziert hatte, mit der er Margarita rumkriegen konnte. Sie liebte Bücher und ihr größter Traum war es, einmal selbst in den Regalen einer Buchhandlung zu stehen. Doch bisher hatte sie nicht den Mut gehabt.
Ich reservier dir schon mal einen Platz im Regal, hatte er ihr geschmeichelt, und als sie ihm daraufhin ihren Namen verriet, konnte er mit ihrem Lieblingsbuch Meister und Margarita von Michail Bulgakov punkten, denn zufällig war das auch sein Lieblingsbuch. Seit dem hatte er mehr als nur einen Stein bei ihr im Brett. Sie kam daraufhin fast jeden Tag zu ihm in den Laden. Immer zur Mittagszeit, wenn sie zwischen den Vorlesungen die Zeit überbrücken musste. Das war die schönste Zeit für ihn und meistens verzichtete er sogar auf seine Mittagspause, nur um sie nicht zu verpassen.
Doch immer wenn er mit seinen Freunden auf Kneipentour war und mal wieder länger weg blieb als versprochen – Ich geh nur kurz auf 1-2 Bier mit den Jungs weg +++SCHNITT+++ 5 Uhr nachts, rotzevoll – wusste er, dass sie sauer war, weil sie dann meistens einfach nach Hause ging, ohne auf ihn zu warten. So auch dieses Mal, sodass er allein in der Wohnung und allein mit seinem Kater in seine Singlecouch einsank und einschlief. Ob es nun am Restalkohol oder seiner wilden Phantasie nach dem Abend mit Mike lag, Marcus hatte den verrücktesten Traum seines Lebens.